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Zu früh gefreut?

Eine Anmerkung zum Attentat auf Salman Rushdie

Nachdem ich vor wenigen Wochen das Manuskript meines neuen Buches „Glut in Frösten“ für abgeschlossen erklärt hatte und mich auf sein baldiges Erscheinen vorzubereiten begann, nahm ich es doch noch einmal zur Hand. Angeregt durch Musik, hielt ich es für nötig, den etwa hundert thematischen Einschüben noch einen weiteren hinzuzufügen. Er fand seinen Platz nach gewissen Gedanken über den Tod des iranischen Revolutionsführers Khomeini im Sommer 1989 und sollte einen Blick aus heutiger Sicht auf die damaligen Ereignisse werfen. Angesichts aktueller Ereignisse erscheint es nunmehr angebracht, beide Textauszüge vor Erscheinen des Buches noch einmal gesondert zu beleuchten. 1 (Blickwinkel: DDR Sommer 1989) "Anfang Juni starb im Iran Revolutionsführer Khomeini, der mittlerweile schon seit zehn Jahren von Porträts mit stechenden Augen unter dem Turban wie der böse Zauberer aus einem Märchenfilm in die Welt blickte. Aber während sich solche Unholde mit Ende des Films meist auflösten, bestand sein System schwarzgewandeter islamischer Fanatiker weiter. Erst ein halbes Jahr war es her, dass er etwas angestoßen hatte, was mich fassungslos machte; noch immer fühlte ich mich davon getroffen, als habe er mir persönlich etwas angetan. Dabei betraf es zuerst einen Schriftsteller, den ich nicht kannte und einen Roman, den ich nicht gelesen hatte; in der DDR würde er vermutlich ohnehin nicht erscheinen. Ich wusste somit zwar nicht, was der britisch-indische Autor Salman Rushdie mit seinen 'Satanischen Versen' tatsächlich veröffentlicht hatte: Satire? Blasphemie? Was auch immer - es ging um ein künstlerisches Werk! Dass ein Schriftsteller von einem finsteren Zauberer wegen eines Romans verflucht werden und durch ein Kopfgeld über Grenzen hinweg gläubigen Muslimen zur Ermordung freigegeben werden konnte, überschritt alle meine Vorstellungskraft. War es nicht ein Angriff auf jede Art freien Denkens? Eine Kampfansage, ja Kriegserklärung an Kunst und Kultur überhaupt? Was auch immer in Rushdies Buch stand: Falls sich dergleichen über die Welt verbreitete, würden irgendwann auch Kabarettisten wie Hildebrandt, Schriftsteller wie Grass auf Todeslisten stehen, müssten kritische Karikaturisten, freigeistige Liedermacher, ja vielleicht sogar Freiheit nur mimende Schauspieler um ihr Leben fürchten. Bis dahin hatte ich geglaubt, am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts seien derartige Vorgänge nur noch etwas für Historiker. Schockiert sah ich jetzt, dass dieser Mordauftrag so ernst und real war, dass Rushdie untertauchen musste und dass er in letzter Konsequenz auch meinem eigenen Denken galt. Während ich meine Erregung darüber damals in einem Tagebucheintrag abreagierte, war ich zufällig auf einen noch nicht lang zurückliegenden Eintrag gestoßen. Ich hatte ihn im vorigen Jahr zu Fernseheindrücken bei Vorwahlen zur US-Präsidentschaft verfasst und gleich noch einmal fiel mir 'Wer den Wind sät' ein. 'Wir brauchen keinen Kommunismus, wir brauchen keinen Humanismus westlicher Prägung, wir brauchen eine Rückbesinnung auf das Christentum!' hatte ich damals Äußerungen von 'Wahlkämpfern' festgehalten und beschrieb 'fanatische Blicke, Geschrei, Jubel'. Am Ende formulierte ich meine eigene Frage: 'Ist die Menschheit zu Dummheit und Intoleranz verdammt? Sind die Wissenden und Sehenden schicksalhaft immer wieder nur zu ‚innerer Emigration‘ und zum Reden für taube Ohren bestimmt?' 2 (Blickwinkel: Deutschland Sommer 2022) Verlust. "Salman Rushdie blieb am Leben und ist längst ein vielfach ausgezeichneter, weltweit anerkannter Schriftsteller. Als ich die 'Satanischen Verse' nach der 'Wende' endlich in der Hand hielt, fand ich darin auf den ersten beiden Seiten die aufgereihten Namen mehrerer hundert angesehener Künstler, Schriftsteller, Politiker, Verlage, Kulturinstitutionen Deutschlands, die gemeinsam für die Herausgabe des von Khomeini als 'Verunglimpfung des Islam' verdammten Romans verantwortlich zeichneten: Eine ungeheure Demonstration der Unterstützung - und für mich Genugtuung für meine Empörung über den schändlichen islamistischen Mordaufruf. Umso klarer stand mir nach dem Lesen vor Augen, was geschehen war: Würde im Vatikan ein Papst vom Schlage Khomeinis auf dem Stuhl Petri sitzen, müsste nicht nur die britische Komikertruppe „Monty Python“ wegen ihres Films 'Das Leben des Brian' um ihr Leben fürchten, sondern wohl auch all die Millionen, die über diesen Film herzlich lachten. Musste es zwangsläufig als 'Blasphemie' gelten, wenn man sich die Freiheit nahm, die grotesken Züge von Religion – welcher auch immer! – mit künstlerischen Mitteln bloßzustellen und zu hinterfragen? Es war die Logik eines fanatischen, blinden 'Bruders Jorge', der in Umberto Eco´s Roman 'Der Name der Rose' das Lachen verdammte und sich in der Art eines Selbstmordattentäters mitsamt einer unschätzbaren Bibliothek in Brand steckte… Zur selben Zeit und aus demselben Anlass erlitt ich allerdings auch einen unwiederbring-lichen persönlichen Verlust. Seit meiner Jugend hatte ich Songs wie 'Matthew & Son', 'Morning Has Broken' oder 'Lady D‘ Arbanville' eines britischen Sängers, der sich Cat Stevens nannte, zu 'meiner' Musik gezählt. Erst als dieser inzwischen gealterte und vom Christentum zum Islam konvertierte Künstler in einer BBC-Talkshow das Todesurteil für Rushdie rechtfertigte, stellte ich fest, dass sich der immer so sanfte, lockige 'Cat' inzwischen zu einem unduldsamen 'Yussuf Islam' gewandelt hatte, der auch die Songs seines früheren Lebens nicht mehr sang. Obwohl mir meine Frau vorwarf, es sei wohl eine Überreaktion, war ich von da an nicht mehr in der Lage, die früher gern gehörten Lieder noch unvoreingenommen zu hören. Inzwischen aber ist Yussuf wieder zu Cat Stevens / Yussuf geworden, singt auch die Songs von früher wieder, engagiert sich in sozialen Bereichen und erhielt selbst Auszeichnungen – von der UNO und auch in Deutschland. Hat er sich gewandelt, so dass ich auch seine Songs wieder zu 'meiner' Musik zählen darf? Hat meine Frau Recht, wenn sie vermutet, er sei 'altersweise' geworden und könne seine damalige Haltung revidiert haben? Ich werde misstrauisch bleiben. Bis heute hat er sich nicht von seinen damaligen Äußerungen distanziert, dass 'Blasphemie' unbedingt den Tod verdiene und nicht ausschloss, notfalls auch selbst aktiv zu werden. In Tagen, in denen die nach Afghanistan zurückgekehrten Taliban den Frauen wieder die Ganzkörperverschleierung verordnen, weigert sich 'Yussuf / Cat Stevens' noch immer standhaft, einer unverschleierten europäischen Frau die Hand zu geben; das lässt sich zumindest bei 'Wikipedia' nachlesen. Deshalb muss ich meine Frau fragen, ob ich tatsächlich nur nachtragend bin, wenn ich die Songs des dunkellockigen, schnurrigen 'Cat' für mich als endgültig verloren betrachte…“ Habe ich mich zu früh gefreut, wenn ich noch vor wenigen Wochen erleichtert festhielt, dass Salman Rushdie am Leben blieb und ein weltweit geachteter Schriftsteller ist? Nein, denn in den letzten dreißig Jahren – für uns Deutsche vielleicht die unbeschwertesten, die wir je hatten – gab es beim Blick über den Tellerrand durchaus keinen Grund zur Freude. Was mit Khomeinis Fatwa über Rushdie begann, hat sich unterdessen durch islamistische Strömungen - aber nicht nur durch diese! - in ganzen Teilen der Welt des Bewusstseins bemächtigt. Doch wer von den aufgeputschten Massen, die 1989 auf den Straßen der islamischen Welt Rushdie den Tod wünschten und es bis heute wieder tun würden, hat seine „Satanischen Verse“ je in der Hand gehabt geschweige denn gelesen? Es sind geschürte Aufstände, die auf Nichtwissen und mangelnde Urteilsfähigkeit zielen, um sie für Machtansprüche zu nutzen! Was anders auch ist es, wenn einer noch weitaus größeren Gruppe als den Schriftstellern und Künstlern das Recht abgesprochen wird, sich frei zu äußern, ja zu kleiden, zu bilden, zu bewegen: Den Frauen? Aber auch, dass einer der vorstehenden Textauszüge einen Blick auf den amerikanischen Wahlkampf des Jahres 1988 enthält, ist kein Zufall: Er beruht auf Tagebuchaufzeichnungen und könnte wie eine Vorahnung auf das gelten, was vorläufig in der Vergiftung aller geltenden Werte durch Donald Trump gipfelte und noch längst nicht ausgestanden ist… Resignation? Aber nein! Wenn es keine Toleranz für etwas geben darf, so für die Intoleranz! Wenn für etwas kein Verständnis angebracht sein kann, so ist es die Dummheit! Wenn etwas nicht akzeptiert werden darf, so ist es die Gewalt des Stärkeren gegen den Schwachen! Als in den Hauptnachrichten nach dem Attentat wieder und wieder die Formulierung verwendet wurde, Politiker, Künstler und eigentlich die ganze Welt sei „schockiert“ von dem Vorgang, so kennzeichnet auch dies unsere Zeit. Schockiert? Das ist nicht weit entfernt von Schockstarre! „Empört!“ ist das Wort, das Journalisten, Redakteuren, aber auch Politikern zuerst in den Sinn kommen müsste! „Wehrt euch!“ sollte endlich wieder zur Devise derer werden, die denken, statt zu folgen! .

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